Peter Schreiner war ein ruhiger Mann. Man könnte fast sagen, er war still. In Gesprächen mit ihm fiel mir vor allem die Sanftheit seiner Stimme auf. Er war ein sensibler, empfindlicher und empfindsamer Mensch. Ungerechtigkeiten und Missstände, die wir oft nur als “Nachrichten” wahrnehmen, schmerzten ihn zutiefst.
Kein Wunder, dass ein solcher Mann, auch sensible Filme gemacht hat. Der Versuch, sie zu beschreiben erscheint den Filmen gegenüber ungenügend. Als ob sie an den falschen Worten zerbrechen könnten. Es sind keine Filme der Worte, wenn auch in manchen seiner Filme einiges gesprochen wird. In seinem Film Garten beispielsweise berichten die Figuren von vergangenen Verletzungen. Oftmals sind ihre Worte nicht synchron zum Bild, sondern wir hören sie in einer Art Voice-Over. Währenddessen tauchen sich die Bilder des Filmes in Dunkelheit, sie bewegen sich durch einen fast abstrakten Raum aus Blättern, Gesichtern und Nacht.
Diese Bilder (und Töne) sind oft ganz groß, obwohl sie nie bombastisch oder grandios sind. Dass sie einen dennoch bewegen, zeigt die Feinfühligkeit der Filme. Eine kleine Geste, die kleinste Bewegung der Kamera oder der Personen und Gegenstände im Bild, ein sanfter Ton: sie bekommen Raum in den Filmen von Peter Schreiner. Ihnen wird geduldig Zeit gegeben, sich zu entfalten. In Schreiners Filmen, dürfen Bilder erst einmal für sich selbst stehen. Sie werden nicht sofort nach ihrem Informationsgehalt oder ihrer narrativen Wirkung gewertet und hinterfragt. Unsere Aufmerksamkeit verdienen sie einfach durch sich selbst.
Vor allem in seinen frühen Filmen steht jede Einstellung für sich. Die Filme befinden sich im Hier und Jetzt. Es fühlt sich fast so an, als ob Schreiner die Filme ebenfalls von Sekunde zu Sekunde entdeckt, sowie auch wir es tun, wenn wir die Filme sehen. Manchmal drohen sie dabei fast zu zerfallen: Ist die Summe größer als die einzelnen Teile? Das ist nicht immer ganz klar. Doch es liegt eine große Schönheit darin, sich mit Offenheit auf das einzulassen, was Schreiner mit seiner Kamera entdeckt hat. Wie in den Filmen der Lumières, oder Peter Huttons könnten seine Filme nach fast jedem Bild enden. Doch man sitzt und hofft, dass es noch ein weiteres Bild geben wird. Es ist eine Form von Aufmerksamkeit, die für das Kino gedacht ist.
Peter Schreiner war immer auf der Suche danach, mit seiner Kamera wirklich etwas zu sehen. Das ist vielleicht auch der Grund, warum er sie wiederholt auf dieselben Gesichter richtete: um sie wirklich zu sehen.
Die Filme von Peter Schreiner, das sind auch Filme voller Leben. Er hat das Leben und die Welt gefilmt. Manchmal war er selbst Teil dieser gefilmten Welt, manchmal waren es andere Menschen. Öfters filmte er nicht nur das Leben sondern sein Leben. Das heißt nicht unbedingt, dass die Filme autobiographisch oder dokumentarisch sind (obwohl sie meist so bezeichnet werden in Texten und Festivalkatalogen). Die Intimität vieler seiner Filme hat sie nie einfach nur privat (im Sinne von home movies) gemacht. Wenn er die Gesichter derer gefilmt hat, die er geliebt und geschätzt hat und die ihn fasziniert haben, dann war da immer eine Begegnung mit der Welt und dem/der/den Anderen.
Seine Filme waren bevölkert von den Menschen, den Orten und den Begebenheiten seines Lebens. Als Peter Schreiner die Liebe suchte, taten das seine Filme auch. Nachdem er seine Frau Maria kennenlernte, strahlen seine Filme in jedem Moment, in dem sie auftaucht, vor Freude. Als Peter Schreiner Italien für sich entdeckte und erkundete, tat er das auch mit der Kamera. Und so wurde das Land immer präsenter in seinen Filmen. Nachdem er an Krebs erkrankte, richtete er die Kamera wieder auf sich selbst und zeigte das Leben mit und trotz der Krankheit.
Film und Leben gingen für ihn immer Hand in Hand. Das Eine erfüllte und durchflutete das Andere. Wenn man sich das vor Augen führt, kann man wohl erst begreifen wie groß seine Enttäuschung gewesen sein muss, als Blaue Ferne kaum Aufmerksamkeit erfuhr. Schreiner zog sich aus dem Kino zurück und machte 10 Jahre lang keinen Film mehr. Und doch kehrte er zurück.
Filme gut zu machen war ihm wichtiger als “gute Filme” zu machen. Es ging ihm darum, ein gutes Leben zu führen. In diesem Leben spielte die Filmkamera eine Rolle. Sie legte Zeugenschaft über das gut geführte Leben ab. Sie war nicht wichtiger als das Leben. Das Filmen stand nicht über dem Leben, sondern war Teil davon. Peter Schreiner erzählte gerne, wie er zum ersten Mal seinen Sohn filmte. Er sprach von der Angst, die er verspürte, als er dieses große mechanische Gerät über diesem kleinen Säugling aufbaute. Die Angst davor, dass die Kamera umfallen und den Jungen verletzen könnte. Doch es geschah nichts dergleichen, denn Peter Schreiner filmte seinen Sohn mit großer Vorsicht, sowie er alles in seinem Leben filmte: Familie, Freunde, Wüsten, Bäume, Wasser, Wind, Küsse, Schmerzen, Kinder, Liebe, Krankheit,…
Er hat gefilmt, solange er dazu imstande war. Für seinen letzten Film Tage war es ihm nicht mehr möglich, komplexe Kamerafahrten oder -bewegungen auszuführen. Das Bewegen des Stativs und das Einrichten eines Bildes kosteten ihm viel Kraft. Aber er tat es trotzdem, denn er hat das Filmen geliebt.
– Sebastian Bobik
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